Bahá'í-Beiträge zu einer kulturübergreifenden Bioethik

(Baha'i contributions to cross-cultural bioethics)

By Friedo Zolzer

First presented at the Irfan Colloquia Session #49
Berghotel: Tambach-Dietharz, Germany
July 25–27, 2003
(see list of papers from #49)


    Zur Person:
    geboren 1956, Bahá'í seit 1973, verheiratet, 2 Kinder
    Studium der Physik mit Schwerpunkt Biophysik und Genetik an den Universitäten Köln und Gießen. Diplomarbeit (1981) und Dissertation (1986) über die Risiken ultravioletter Strahlung im Zusammenhang mit der Zerstörung der Ozon-Schicht. Postdoktoranden-Stipendium der DFG für einen einjährigen Forschungsaufenthalt in (damals noch) Leningrad, UdSSR. Lehr- und Forschungstätigkeit an der Universität Essen mit Ausrichtung auf medizinische Strahenbiologie. Habilitation 1996. Seit 1999 Lehrtätigkeit an der Townshend International School, Hluboka nad Vltavou, Tschechische Republik, seit 2001 als deren Akademischer Direktor. Nebenbei 1976 - 1996 Besuch zahlreicher Lehrveranstaltungen im Bereich Philosophie an den Universitäten Gießen, Essen und Hagen mit Schwerpunkt Wissenschaftstheorie, politische Philosophie und Ethik.

    Hilfsamtmitglied 1987 - 1991, Mitglied im Nationalen Geistigen Rat der Bahá'í in Deutschland 1992 - 1999, Mitglied im Nationalen Geistigen Rat der Bahá'í in der Tschechischen Republik seit 2002

    Zum Vortrag:

    Dies ist ein erster Versuch, die Möglichkeiten auszuloten, wie aus einer Bahá'í-Perspektive zur aktuellen Diskussion über bioethische Fragen beigetragen werden kann. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass zu den meisten einschlägigen Themen, wie der Gentechnischen Veränderung von Lebensmitteln, der Präimplantationsdiagnostik, dem Klonen, der Sterbehilfe und der Transplantationsmedizin keine vorgefertigten Stellungnahmen in den Bahá'í-Schriften zu finden sind. Auch hat das Universale Haus der Gerechtigkeit auf Nachfragen immer wieder geantwortet, dass es eine Fixierung von Bahá'í-Positionen in diesem Bereich zum jetzigen Zeitpunkt nicht für angemessen hält. Wir sind also frei, aus allgemeinen Ideen, wie wir sie den Bahá'í-Schriften entnehmen, zu spezifischen Argumenten vorzustoßen, die sich in der Bioethik-Diskussion als fruchtbar erweisen könnten.

    In Anlehnung an das Konzept des Geringeren und des Größten Friedens, das von einer erst allmählich sichtbar werdenden Beteiligung der Bahá'í an der Überwindung tiefverwurzelter Konfliktstrukturen ausgeht, wird hier folgende Herangehensweise vorgeschlagen: statt einzelne Probleme schon jetzt grundsätzlich lösen zu wollen, sollten die Bahá'í ihre Aufgabe zunächst darin sehen, konstruktiv zu einer Diskussion bioethischer Fragen beizutragen, die über den westlich-abendländischen Horizont hinausschaut. Das kann im Rahmen des interreligiösen Dialogs geschehen, allerdings werden dort in aller Regel die philosophischen und religiösen Traditionen des ostasiatischen Raums nicht oder zu wenig berücksichtigt. Länder wie Japan, China und Korea spielen aber gerade im Bereich der Biotechnologie eine große Rolle, so dass man auf eine Einbeziehung von Denkrichtungen, die von Shintonismus, Konfuzianismus und Taoismus beeinflusst sind, nicht verzichten kann. Erstrebenswert scheint daher eine "kulturübergreifende Bioethik", bei der nicht allein diejenigen Glaubensrichtungen zu Wort kommen, die im klassischen interreligiösen Dialog vertreten sind.

    Was genau können die Bahá'í in diesem Zusammenhang beitragen? Vielleicht können sie zur Zeit am ehesten die Rolle des "jüngeren Bruders" spielen, der die älteren an bestimmte Dinge erinnert, die ihnen allen zu eigen sind, die sie aber in der gegenwärtigen Situation nicht nutzen. Viele Beiträge von christlicher, jüdischer, islamischer und buddhistischer Seite beschränken sich darauf, für gängige Argumente der weltlichen Bioethik-Diskussion Bestätigung in den eigenen Traditionen zu finden, statt selbstbewusst eine andere, eben religiöse Perspektiven einzubringen. Tatsache ist aber, dass der überwiegende Teil der Menschheit nach wie vor im Glauben an eine letzte, unbedingte Wirklichkeit lebt und in den angesprochenen Biotechnologien einen Eingriff in die Schöpfung sieht, der vielleicht nicht unzulässig ist, aber doch der Rechtfertigung bedarf. Tatsache ist auch, dass die verschiedenen religiösen Traditionen ganz ähnliche Vorstellungen von dem haben, was ein "guter" Mensch ist und was er zu tun und zu lassen habe. Die Ähnlichkeiten würden sicher noch stärker empfunden, wenn sich die Gläubigen verschiedener religiöser Gemeinschaften darauf verständigen könnten, bei ihren Diskussionen immer den Bezug auf die jeweils ältesten Traditionen zu suchen und ihnen Vorrang zu geben vor späteren Entwicklungen. Tatsache ist schließlich, dass wir in einer kleiner werdenden Welt leben und geeignete Formen der Verständigung und des Umgangs miteinander finden müssen, wenn wir als Menschheit friedlich überleben wollen. Dazu gehört auch die Etablierung weltweit gültiger Mindeststandards der Bioethik. Diese müssen sowohl dem wirtschaftlichen Nord-Süd-Gefälle, als eben auch den kulturellen Unterschieden in geeigneter Weise Rechung tragen.

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